Philippe Uzan, Chief Investment Officer bei Edmond de Rothschild Asset Management
Pierre Nebout, Co-Leiter European Equity Management bei Edmond de Rothschild Asset Management
Drei in einer Reihe?
Nach zwei politischen Erdbeben in 2016 – dem Brexit-Votum in Großbritannien und Donald Trumps Wahlsieg – zeichnete sich ein drittes ab: ein Sieg v0n Marine Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen, verbunden mit einer gravierenden neuen Euro-Krise. Die politischen „Störfälle" in Frankreich in der letzten Zeit haben anscheinend viel mit den Überraschungen in Großbritannien und den USA gemeinsam: François Hollande verzichtete auf eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit und führende Politiker der etablierten Parteien wie Nicolas Sarkozy, Alain Juppé und Manuel Valls schieden aus dem Rennen um das Präsidentenamt aus. Der spektakuläre Vormarsch von Jean-Luc Mélenchon weckte Erinnerungen an Bernie Sanders Erfolge bei den Vorwahlen der Demokraten in den USA, und die Vorsitzenden der traditionell Regierung bildenden Parteien verloren ihre Posten. Jetzt hat es eine rechtsextreme Partei in Frankreich in die Stichwahl geschafft – und niemand ist überrascht.
Um eine Vorstellung zu bekommen, wie es weitergehen kann, sollten wir uns zwei andere wichtige Wahlen ansehen, die in den letzten sechs Monaten in Europa stattgefunden haben. Bei den österreichischen Präsidentschaftswahlen im Dezember 2016 unterlag der Kandidat der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), und in den Niederlanden hielten sich die Stimmengewinne von Geert Wilders' Partei der Freiheit (PVV) bei den Parlamentswahlen im März 2017 in Grenzen. Frankreichs Front National (FN) hat zwar in der ersten Wahlrunde mehr Stimmen bekommen als vor fünf Jahren, verlor aber im Vergleich zu den Kommunalwahlen und den Europawahlen von 2014 beziehungsweise 2015 an Rückhalt bei den Wählern. Und die führenden politischen Fraktionen, die es nicht in die zweite Runde geschafft haben, forderten die Wähler unmittelbar auf, einen Wahlsieg Le Pens zu verhindern, sodass Emmanuel Macron als großer Favorit in die Stichwahl am 7. Mai geht.
Marine Le Pen wird wahrscheinlich verlieren. Es ist aber noch zu früh, die Folgen von Emmanuel Macrons voraussichtlichem Wahlsieg aufzuzeigen. Denn erst nach den Parlamentswahlen im Juni 2017 wird bekannt, wie das zukünftige Regierungsprogramm genau aussehen wird. Und Prognosen über den Ausgang dieser Wahlen scheinen sehr schwierig zu sein. Dennoch sind die Chancen, dass Frankreich ein Reformprogramm auf den Weg bringen wird, deutlich gestiegen. Und die Aussicht auf einen Sieg Macrons lassen erwarten, dass sich die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland verbessern und die Eurozone gestärkt hervorgehen wird. Dies könnte die Sanierung des Bankensektors der Eurozone auf Kurs halten und zu einer auf die besonderen Anforderungen der Eurozone zugeschnittenen Wirtschaftspolitik führen.
Makroökonomie statt „macronomics”
Die Ergebnisse der ersten Wahlrunde in Frankreich deuten darauf hin, dass die europafeindliche Kandidatin nicht gewinnen wird. Ihre Niederlage würde das politische Klima in Europa wirklich bereinigen, da die Bundestagswahlen in Deutschland den Umfragen zufolge frei von Risiken eines Sieges populistischer Kräfte sind. Die Parlamentswahlen in Italien im Jahr 2018 werden wahrscheinlich gewisse Turbulenzen an den Märkten auslösen – aber nicht vor Ende dieses Jahres. Bis zur französischen Stichwahl am Sonntag, 7. Mai, werden wir sehr genau beobachten, ob es Ereignisse gibt, die den Wahlausgang erheblich beeinflussen könnten. Doch es ist bereits an der Zeit, den Blick wieder auf die besonders attraktiven Fundamentaldaten der Eurozone zu richten. Der aktuelle Einkaufsmanagerindex hat den höchsten Stand seit sieben Jahren erreicht, was darauf hinweist, dass das Wachstum mit unserem positiven Szenario in Einklang steht (und sich immer noch beschleunigt). Die Geldpolitik bleibt weiterhin sehr akkommodierend, und die Unternehmensgewinne werden für 2017 nach oben revidiert.
Die wirtschaftliche Erholung in Europa setzt sich fort, und die neuesten Umfragen lassen eine Wachstumsrate von circa drei Prozent erwarten. Es ist bemerkenswert, dass der eng mit dem Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts korrelierende Geschäftsklimaindex vom ifo-Institut wieder auf frühere Höchststände geklettert ist. Die beiden größten Nachzügler, Frankreich und Italien, verzeichneten bis Herbst 2016 nur wenig Wachstum, holen inzwischen aber gegenüber den übrigen europäischen Ländern auf. Anders als im letzten Jahr, als der Konjunkturaufschwung erst noch in den Unternehmensgewinnen sichtbar werden musste, sind Letztere inzwischen kräftig gestiegen. Doch obwohl die Erholung in Europa seit Monaten Konturen annimmt, sind seit Februar 2016, als die Anleger anfingen, die Brexit-Risiken ernst zu nehmen, Mittel aus europäischen Aktien abgeflossen.
Auf dem Weg zu niedrigeren Kursabschlägen in Frankreich
Nach Bekanntwerden der Ergebnisse der ersten Wahlrunde in Frankreich stießen die Märkte einen riesigen Seufzer der Erleichterung aus. Der Euro wertete gegenüber allen anderen Währungen auf, während „sichere Häfen" wie der Schweizer Franken und der japanische Yen an Boden verloren. In Ländern mit hohem Kreditrating zogen die Renditen auf Staatsanleihen etwas an. Die Kreditrisikoaufschläge verringerten sich, und die Aktienmärkte der Eurozone gingen am Tag nach der ersten Wahlrunde mit deutlichen Kursgewinnen aus dem Handel. Wir sehen immer noch Spielraum für eine Verringerung des Renditeabstands zwischen französischen Staatsanleihen und Bundesanleihen – vor allem wegen eines Aufwärtstrends bei den Renditen in Kernländern – und haben eine Präferenz für nachrangige Anleihen aus dem Finanzsektor sowie für Wandelanleihen.
Beachtenswert ist auch der deutliche Rückgang der impliziten Volatilität an Europas Aktienmärkten. Wir gehen davon aus, dass insbesondere gebietsfremde Anleger in den nächsten Wochen an die europäischen Aktienmärkte zurückkehren werden. Von diesem Trend sollte vor allem Frankreich profitieren; denn das ist eindeutig der Markt, auf den sich globale Aktienportfolios fokussieren sollten.
Unser optimistisches Szenario für französische Aktien in 2017 basiert auf einer Performance in zwei Stufen:
- 1. Wir erwarten eine Verringerung des doppelten Kursabschlags an den Aktienmärkten der Eurozone gegenüber den USA und – wenn sich die politischen Risiken verflüchtigt haben – einen Rückgang des französischen Aktienkursabschlags gegenüber der Eurozone. Die Märkte zögern im Moment, weil sie Zweifel haben, ob die Trump-Regierung die versprochenen Reformen tatsächlich durchführen kann. Wir sehen diese Phase als eine echte Gelegenheit für die Eurozone, sich gut zu entwickeln.
- 2. Dieser Trend muss durch Hinweise darauf untermauert werden, dass der Gewinnzyklus in der Eurozone wirklich robust ist. Zum ersten Mal seit 2010 weist jetzt eine kräftige Erholung von Frühindikatoren für die Eurozone auf einen Anstieg der Unternehmensgewinne hin. Und diese Indikatoren sind in letzter Zeit nach oben revidiert worden, nachdem Unternehmen bei der Vorlage ihrer Quartalsergebnisse die Geschäftsprognosen angehoben haben. Der zweite Punkt ist entscheidend, weil unser Szenario keine Wette auf die Wahlen war, sondern auf der festen Überzeugung beruhte, dass politische Risiken durch die derzeit günstigen makro- und mikroökonomischen Rahmenbedingungen gedämpft werden würden.
Die Performance der Finanzmärkte wird auch davon abhängen, ob in Frankreich tatsächlich Reformen durchgeführt werden wie zum Beispiel:
- 1. Privatisierungsmaßnahmen oder Verkäufe staatlicher Beteiligungen, die eine Konsolidierung in Gang bringen könnten. Der Verkauf der staatlichen Beteiligung an dem Mobilfunkbetreiber Orange würde eine Konsolidierung im Telekommunikationssektor einläuten, wofür es im Gegenzug eine Verpflichtung zu Innovation und Investitionen geben müsste. Und ein Abbau der staatlichen Beteiligung an der Gesellschaft, die Pariser Flughäfen betreibt, Aéroports de Paris (ADP), könnte einem „natürlichen" Käufer wie Vinci entgegenkommen.
- 2. Eine Senkung der Arbeitskosten (unter Beibehaltung des aktuellen Steuervergünstigungsprogramms „CICE"), was eine gute Nachricht für arbeitsintensive binnenwirtschaftliche Sektoren und damit für Unternehmen wie Veolia, Carrefour, Peugeot und Eiffage wäre.
- 3. Eine einfachere Besteuerung von Ersparnissen, die Geldanlagen in risikobehafteten Finanzaktiva auf Kosten von Immobilienanlagen fördern könnte.
Die bedeutendste Maßnahme wäre eine Senkung der Unternehmenssteuern.
Gezielte Aktienauswahl ist wieder gefragt
Dank der geringeren Risikoaversion ging es nach Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten Wahlrunde an der Börse kräftig aufwärts. Weiteres Kurspotenzial ist vorhanden. Wir können uns jetzt auf Fundamentaldaten wie die Unternehmensergebnisse konzentrieren, die zuvor durch politische Turbulenzen überschattet wurden. Bemerkenswerterweise haben sich Aktien mit mittlerer Börsenkapitalisierung in den letzten Monaten überdurchschnittlich entwickelt. Dies zeigt, dass ähnlich hohe Gewinne unterschiedlich behandelt werden, wenn sie von Unternehmen erwirtschaftet werden, von denen man annimmt, dass sie von den Wahlen weniger betroffen sein werden. In den letzten Tagen wurden am Markt die Kurse von Finanztiteln, die ein Gradmesser für die Risiken in der Eurozone sind, durchaus folgerichtig in die Höhe getrieben. Die Verbindung zwischen Bankbilanzen und der Staatsverschuldung ist nach wie vor sehr ausgeprägt (auch wenn der Wandel des Bankensektors seit der Staatsschuldenkrise von 2011 die Auswirkungen dieser Verbindung reduziert hat). Denn schließlich würden Finanztitel von jedem Austritt eines Landes aus der Eurozone wegen der Auswirkungen einer Währungsumstellung von Schulden auf Aktiva und Passiva, Liquiditätsrisiken, Kapitalflucht usw. empfindlich getroffen.
Diese Sektorhierarchie spiegelt sich auch in der Performance einzelner Länder wider, wobei Peripherieländer wie Frankreich und Italien die Performance der Kernländer der Eurozone übertreffen werden. Inländische Aktien, die bisher durch Zweifel an dem anhaltenden Wirtschaftsaufschwung zurückgehalten wurden, können sich jetzt frei entfalten. Dies kommt (wieder) Banken, aber auch Bau-, Versorgungs- und Telekommunikationsunternehmen zugute, nicht aber exportorientierten oder Wachstumsaktien, die infolge mehrerer Phasen, in denen es eine Flucht zur Qualität gab, ohnehin schon hohe Bewertungskennzahlen aufwiesen. Kurz gesagt liefern Substanz- und Large-Cap-Aktien sowie Aktien von in Europas Peripherieländern tätigen Unternehmen, die bei der Performance hinterherhinkten, nachdem der Rotation nach Trumps Wahlsieg der Schwung ausgegangen war, jetzt im Allgemeinen eine überdurchschnittliche Performance ab. Ausgenommen von dieser Rückbesinnung auf Substanzwerte sind Öl- und Rohstoffaktien, die aber von Haus aus weniger binnenwirtschaftlich ausgerichtet und eher von Entwicklungen abhängig sind, die mit der OPEC und China zusammenhängen, als mit den politischen Geschehnissen in Frankreich.