Im Anschluss an die von der Invasion der Ukraine ausgelöste Baisse kommen die Risikoanlagen seit dem 8. März wieder in Fahrt und treiben die großen Aktienindizes auf Niveaus, die ungefähr auf der gleichen Höhe oder noch besser als vor dem Krieg sind.
Die Gründe für die Umkehr
Alle Parteien in diesem Konflikt bemühen sich, dessen rein lokale Dimension zu bewahren und jede Verwicklung sorgfältig zu vermeiden. Die NATO-Länder nutzen ihre Handlungsspielräume, schließen aber zugleich alle Maßnahmen aus, mit denen sie als Kriegsbeteiligte dastehen würden. China leistet Russland keine offene Unterstützung, und Russland hat auch keinen allgemeinen Cyberangriff gestartet. Trotz der Sanktionen zahlt Moskau auch weiterhin die Kupons der auf US-Dollar lautenden Verbindlichkeiten.
Darüber hinaus haben die chinesischen Behörden eine Reihe von Erklärungen abgegeben, um Investoren in vielen Fragen zu beruhigen (die Situation auf dem Immobilienmarkt und bei den Bauträgern, die Null-Covid-Politik, ihr Interesse am Status der American Depositary Receipts (ADR), etc.).
Schließlich hat die Fed ihre Prognosen für Wachstum, Inflation und Zinsen drastisch aktualisiert. Waren die Aktivitäten der Zentralbank in diesem inflationären Umfeld vor der FOMC-Sitzung noch Anlass zur Sorge, lässt sich nach Ablauf des Termins eine Art Erleichterung beobachten.
Die Fed bleibt auch weiterhin ein Problem für die Märkte
Dennoch haben wir unsere Asset-Allokation aktuell nicht geändert und ziehen es vor, an einer eher defensiven Ausrichtung festzuhalten. Die festgefahrene Lage in der Ukraine stellt nämlich keinerlei Garantie dafür dar, dass der rein lokale Bezug dauerhaft erhalten bleibt. Auch wenn die Aktienindizes in der Nähe oder über den Ständen notieren, die vor dem Angriff vorherrschend waren, ist der Preis für Rohöl der Sorte Brent um mehr als 25% gestiegen, und auch die Preise für landwirtschaftliche Güter haben deutlich zugelegt (Anstieg des S&P Agriculture um knapp 10%). Dieser erneute Anstieg der Rohstoffpreise ereignet sich vor dem Hintergrund, dass es in den USA erste Anzeichen für eine Abkehr von den Inflationserwartungen gibt, und zwar nicht in den Umfragen bei den Privathaushalten (Fed NY, University of Michigan), sondern an den Finanzmärkten. So entsprechen die Breakeven-Punkte der inflationsgebundenen US-Anleihen mit 10-jähriger Laufzeit seit Februar zunehmend den Bewegungen inflationsgebundener Anleihen mit kürzeren Laufzeiten. Vor diesem Hintergrund ist die erneute Aktualisierung des Fed-Szenarios Mitte März diesmal mit einer drastischeren geldpolitischen Straffung verbunden, die zur Eindämmung der Inflation über den neutralen Zinssatz hinausgeht. Allerdings lässt sich erneut die Frage zur Dauerhaftigkeit dieses Szenarios stellen. Einerseits erkennt Jerome Powell an - und das ist neu in den Formulierungen der Fed -, dass der Arbeitsmarkt sehr und wahrscheinlich zu angespannt ist, während die Zentralbank andererseits davon ausgeht, dass sich die Arbeitslosenquote auf einem noch niedrigeren Niveau (3,5%-3,6%) stabilisiert als heute. Mit anderen Worten: Ist es, abgesehen von einer erwarteten Verlangsamung der Inflation bei allmählicher Normalisierung der weltweiten Produktionskette, möglich, zu einem stabilen Inflationssystem zurückzukehren, wenn die Wirtschaft über die Vollbeschäftigung hinausgeht? Im Szenario der Zentralbank erkennen wir darin einen Ausweg, um doch noch zu einer geldpolitischen Straffung zu kommen, die stärker als die aktuellen Erwartungen der Institution und der Anleger ausfällt, zumal beim Kampf gegen die Inflation politische Einigkeit besteht und dieser Kurs auch von der Fed mitgetragen wird.
Die US-Kurve ist praktisch bereits umgekehrt, während die geldpolitische Straffung erst begonnen hat
Zu einem Zeitpunkt, da einige Segmente der US-Kurve bereits umgekehrt sind, lässt sich nicht ausschließen, dass die Märkte ein Risiko des Abbruchs der Erholung seitens der Fed vorwegnehmen, um die Inflationsdynamik wieder unter Kontrolle zu bringen. Schließlich sollten wir nicht vergessen, dass die Fed in Kürze wohl eine Politik des quantitativen Tightenings umsetzen wird (dessen Timing und Modalitäten noch festzulegen sind), das sich wie beim letzten Mal in einer Verschärfung der finanziellen Bedingungen niederschlagen dürfte.
Lieber nicht zu leichtsinnig werden
Es wäre vorschnell, davon auszugehen, dass mit dem starken Zinsanstieg in den letzten Wochen und dem neuen Szenario der Fed, das dieses Mal ein ernsthafteres Programm zur Bekämpfung der Inflation berücksichtigt, ein Ende der zu Beginn des Jahres beobachteten Episode einhergeht. Der Aufwärtsdruck auf die Realzinsen hält an, während die Liquidität zurückgehen wird. Ebenso sind weitere Auswirkungen zu befürchten, die potenziell alle Anlageklassen betreffen.
Auch wenn das Risiko einer Ausbreitung des Krieges in der Ukraine momentan geringer zu sein scheint und zahlreiche Verhandlungen zwischen den beiden Parteien mit dem Ziel einer Beilegung stattfinden, so liegt nach wie vor keine Resolution auf dem Tisch, während der Fortbestand des Konflikts das Wachstum belastet und die Rohstoffpreise zu einem für die Inflation kritischen Zeitpunkt weiter steigen lässt.
Aus technischer Sicht war die Erholung des Marktes von der Rücknahme vieler Short-Positionen begleitet (Wegfall von Absicherungen), sodass der Markt weniger stark abgesichert war und somit anfälliger für ein Umfeld ist, das sich weder in geopolitischen Fragen noch in Bezug auf die Inflation stabilisiert hat. Kurzfristig bestätigen diese Gründe also eine gewisse Vorsicht.
Nachdem die mit diesem Umfeld verbundenen Risiken deutlich zur Sprache gekommen sind, sollte auch daran erinnert werden, dass der weltweite Aufschwung in diesem Jahr auch bei einer beachtlichen Korrektur des Wachstums in Europa erhalten bleiben dürfte, und zwar insbesondere in den USA, während auch die chinesische Dynamik allmählich wieder anziehen sollte. In der Vergangenheit war dieses Umfeld des Weltwirtschaftswachstums mit eher kosmetischen Wertentwicklungen an den Märkten verbunden, sodass wir es ebenfalls als Aufforderung verstehen, jetzt nicht zu leichtsinnig zu werden.
Zu Beginn des Jahres waren wir davon überzeugt, dass 2022 das Jahr für europäische Aktien werden würde und haben mit einer Übergewichtung der Anlageklasse gewartet, bis die Situation in der Ukraine klarer wurde. Diese Übergewichtung hat immer noch nicht stattgefunden, und inzwischen ist die Erholung in Europa gefährdet. Somit sind wir weiterhin untergewichtet. Wir sind weiterhin in chinesischen Aktien übergewichtet, um die niedrigen Bewertungen dieses Marktes, eine bessere Steuerung der Auswirkungen der Anti-Corona-Politik auf die Wirtschaft sowie die größtmögliche Entschlossenheit der Behörden zur Stabilisierung des Anlegervertrauens für uns zu nutzen. In der Anleiheklasse bleiben wir nach wie vor defensiv.